
Carole Stivers: Der Muttercode
„Der Muttercode“ von Carole Stivers wurde mir freundlicherweise als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Das hat aber keinen Einfluss auf meine Bewertung. Irgendwie habe ich gerade richtig Lust auf Sci-Fi, und nachdem ich so begeistert von „Wilde Saat“ von Octavia Butler war, hatte ich hohe Erwartungen an Stivers’ Debütroman. Allein schon der Klappentext hat bei mir die Vorfreude total hochgeschraubt. Aber ich warne euch: Lest ihn nicht! Ein nicht ganz unwichtiger Plottwist wird nämlich schon vorab angedeutet.
Eine entvölkerte Welt
Wir befinden uns fünfzig Jahre in der Zukunft. Eine außer Kontrolle geratene Bio-Waffe hat die Erdbevölkerung nahezu vollständig ausgerottet. Vor der riesigen Katastrophe gelang es US-amerikanischen Wissenschaftlern noch, ein völlig neuartiges System zu entwickeln: den Muttercode. Mithilfe dieses Codes werden Roboter gebaut, die eine Art hochentwickelte Brutkästen darstellen. In ihnen werden Kinder nicht nur geboren, sondern auch von ihnen aufgezogen, um die Erde von Neuem zu bevölkern.
Kai gehört zu diesen besonderen Kindern. Gemeinsam mit seiner „Mutter“ Rho-Z erkundet er eine verlassene Welt. Alles, was Kai kann und weiß, hat er von Rosie gelernt, wie er den Roboter liebevoll nennt. Zwischen den beiden existiert eine telepathische Verbindung, die das einsame Leben erträglicher macht. Dann entdeckt Kai andere Kinder, die wie er in ihren Robotermüttern aufgewachsen sind. Gemeinsam kämpfen sie ums Überleben in einer verwaisten Welt …
Melancholisch, aber auch zäh
„Der Muttercode“ wird auf zwei Zeitebenen erzählt: Zum einen erfährt man, was Kai und seiner „Mutter“ Rho-Z unter widrigsten Umständen nach der Katastrophe erleben. Zum anderen läuft ein zweiter Erzählstrang einige Jahre vor der Epidemie, als quasi der Untergang der Menschheit eingeläutet wird. Das ist durchaus interessant, da man eben nicht nur die Auswirkungen der Katastrophe sieht, sondern auch die dramatischen Ereignisse, die dazu geführt haben.
Der Roman hat eine melancholische Grundstimmung, was mir gut gefallen hat. Sowohl in der Zeit vor der Katastrophe als auch danach ist die Hoffnungslosigkeit regelrecht spürbar. Und die Szenen, die sich Stivers ausgedacht hat, schreien geradezu nach einer Verfilmung. Ich konnte mir die Bilder richtig gut vorstellen.
Und jetzt kommt ein großes Aber. Eigentlich sogar mehr als eins. Denn quasi die erste Hälfte des Romans besteht darin, die Situation zu erklären, die Charaktere vorzustellen und vor allem die Entwicklung der Robotermütter Schritt für Schritt zu verfolgen. Vieles wird richtig kleinteilig aufgedröselt. Stellenweise zieht sich die Handlung dadurch enorm. Erst nach 200 Seiten finden sich die ersten kleinen Puzzleteile zusammen. Ein klasse Plottwist an dieser Stelle kann den Karren aber auch nicht mehr aus dem Dreck ziehen. Und auch wenn die zweiten 200 Seiten etwas an Spannung zugelegt haben, war mir der Weg dorthin einfach zu beschwerlich.
Und mein nächstes Aber sind die Charaktere. Selbst nach der Hälfte des Romans konnte ich keine richtige Beziehung zu ihnen aufbauen. Sie erschienen mir blutleer und funktional, von den Kindern einmal abgesehen. Deshalb hat mich auch die düstere Story relativ kalt gelassen. Für mich war der Roman nicht in Balance – zu viele Nebensächlichkeiten werden untergebracht, statt die Figuren komplexer darzustellen oder mehr Spannungsmomente einzubauen.
Zu langer Anlauf
Carole Stivers hat in „Muttercode“ eine großartige Idee leider schwach umgesetzt. Obwohl das Thema genau mein Fall war, konnten mich weder der Spannungsbogen noch die Charaktere überzeugen. Zudem war der Anlauf, den der Sci-Fi-Roman braucht, um in Fahrt zu kommen, einfach zu lang.
5/10 Robotermütter
Die nackten Fakten
Deutscher Titel: Der Muttercode
Originaltitel: The Mother Code
Autor: Carole Stivers
Verlag: Heyne
ISBN: 9783453320734
Erscheinungsjahr: 2021
Seitenzahl: 413

