
Laurence Haloche: Der Mund
„Das Parfum“ von Patrick Süskind ist einer meiner liebsten modernen Klassiker. Selten hat es ein Roman geschafft, so viele widersprüchliche Emotionen in mir zu wecken. Und selten wurden Empfindungen wie etwa der Geruchssinn so ausdrucksstark zu Papier gebracht. „Der Mund“ von der französischen Autorin Laurence Haloche klang, als könnte es beim Lesen in dieselbe Richtung gehen.
Geschmackvoll durchs Leben
Die junge Malvina Raynal ist auf der Flucht. Das neunjährige Mädchen muss im Frankreich des 18. Jahrhunderts sein altes Leben aufgeben und ein neues beginnen, nachdem ihre Eltern zum Tode verurteilt wurden. In ihrer Heimat wäre Malvina nicht mehr sicher und so sucht sie Unterschlupf in einem Kloster. Obwohl sie seltsam ist und sich keine Mühe macht, sich den strengen Klosterregeln zu unterwerfen, darf sie dort bleiben.
In den folgenden Jahren lernt Malvina das Küchenhandwerk von der Köchin Hubertine, die das eigenwillige junge Ding in ihr Herz schließt. Ihr Geschmackssinn entwickelt sich zu Malvinas großer Stärke, ob beim Abschmecken der verschiedenen Gerichte oder indem sie von dem Geschmack eines Menschen auf dessen Charakter zu schließen vermag.
Nach dem tragischen Tod einer Nonne verlässt Malvina das Kloster und geht nach Paris. Dort geht sie bei einem bekannten Apotheker in die Lehre und lernt dort, wie sie ihren Geschmackssinn gewinnbringend einsetzen kann … auch wenn sie dabei über Leichen gehen muss.
Der Mund vs. Das Parfum
Auf der Buchrückseite wird der Roman als „so sinnlich wie Süskind“ angepriesen. Dieser Vergleich war es, der mich neugierig auf das Buch gemacht hatte. Natürlich ist es gewagt, das Debüt einer unbekannten Autorin mit einem Schriftsteller zu vergleichen, der „Das Parfum“ verfasst hat. Und genau dieser Vergleich bricht dem Werk meiner Meinung nach das Genick.
Denn während Süskind in seinem Roman wirklich etwas zu sagen hat und „Das Parfum“ in so vielen verschiedenen Lesarten eine Botschaft vermittelt, da verliert sich Haloche zu oft in Andeutungen und vagen Erklärungen. Erwartungen werden aufgebaut, bleiben aber zu oft im Vagen, so als hätte der Autorin der letzte Mut gefehlt.
Und wo ist die Sinnlichkeit geblieben, die man erwarten sollte? Ein Roman, der „Der Mund“ heißt und in dem eine junge Frau mit ihren Kochkünsten die Pariser Gesellschaft begeistert – egal wie grotesk ihre Zutaten sein mögen –, muss quasi übersprühen vor Sinnlichkeit und köstlichen Beschreibungen. Doch da hält sich das Werk eher vornehm zurück.
Auch unabhängig vom Vergleich mit Patrick Süskinds Weltbestseller kann „Der Mund“ nicht überzeugen. Malvina als Protagonistin erinnert tatsächlich ein wenig an Jean-Baptiste Grenouille. Sie ist seltsam, eigensinnig und in ihrem Handeln nur schwer nachvollziehbar. Dabei ist ihre Figurenkonzeption unausgegoren und macht keinen schlüssigen Gesamteindruck. Ich als Leserin konnte zu keinem Zeitpunkt eine Beziehung zu Malvina herstellen und es war mir relativ egal, was mit ihr geschieht.
Die übrigen Figuren bleiben blass und undurchschaubar, keiner gibt mehr von sich preis als unbedingt notwendig. So bietet sich weder eine Identifikationsfigur noch ein Sympathieträger an und das Handeln und die Schicksale der Charaktere lassen einen weitgehend kalt.
Zu wenig Sinnlichkeit
Ich hatte mich so auf einen Roman gefreut, der auf den Spuren von „Das Parfum“ wandelt. Doch Laurence Haloches Werk schafft es zu keiner Zeit, in die zugegeben riesigen Fußstapfen zu treten. Was bleibt, ist anspruchslose, seichte Unterhaltung mit einigen makabren Passagen, blasse Figuren und detailarme Beschreibungen. Sinnlichkeit geht anders.
3/10 Geschmäcker
Die nackten Fakten
Deutscher Titel: Der Mund
Originaltitel: Les plaisirs de la chair
Autor: Laurence Haloche
Verlag: Knaur
ISBN: 9783426632338
Erscheinungsjahr: 1996
Seitenzahl: 304
Das Cover bezieht sich auf die Neuauflage von 2006. Zum ersten Mal in Deutschland erschien der Roman bereits 1996.

