
Richard Rötzer: Der Wachsmann
Ich liebe ja solche Vergleiche: „Der Wachsmann“ von Richard Rötzer wird auf der Buchrückseite in die Ecke von Umberto Ecos Klassiker „Der Name der Rose“ geschoben. Solche Vorschusslorbeeren gehen aber meistens nach hinten los … schauen wir mal, ob es wirklich irgendwelche Anknüpfpunkte zwischen diesen beiden historischen Romanen gibt.
Tod eines Flößers
Wir schreiben das Jahr 1319. Jakob Krenner verdient seinen Lebensunterhalt als Flößer auf der Isar Richtung München. Es ist eine harte und auch gefährliche Arbeit, der er nachgeht. Als er bei einer seiner Lieferungen überfallen und beraubt wird, findet er sich zu allem Übel auch noch vor Gericht wieder. Er wird der Mittäterschaft in diesem Verbrechen angeklagt. Und kurze Zeit später ist Jakob toto: Man findet seine Leiche in einem Fass nahe der Anlegestelle der Flöße. Ein Strick um seinen Hals deutet auf Selbstmord hin. Gesteht er damit seine Schuld ein?
Der junge Peter und sein väterlicher Freund Paul glauben nicht an diese Selbstmordtheorie. Der tote Flößer hatte eine Familie, die er zu ernähren hatte, er war ein verlässlicher und pflichtbewusster Arbeiter und hatte immer einen ehrlichen Eindruck gemacht. Und er hätte bei dieser Mittäterschaft der geraubten Ladung nichts gewonnen.
Bei ihren Ermittlungen finden die beiden Freunde heraus, dass Jakob tatsächlich umgebracht wurde. Ein Psalm und ein Zauberspruch bei der Leiche deuten darauf hin, dass hier böse Mächte am Werk sind. Und noch während Peter und Paul weiter auf Spurensuche sind, wird im beschaulichen München ein weiterer Mord verübt.
Vergleich mit Eco?
Was soll ich sagen? Der Vergleich mit „Der Name der Rose“ ist zwar immer noch ziemlich weit hergeholt, aber ein paar Eigenschaften lassen sich durchaus beiden Romanen zusprechen. So sind Glaube und Aberglaube zwei zentrale Themen des Buches. Man hat einen jungen und einen älteren Ermittler, die versuchen, das Rätsel um die Morde zu lösen. Und auch der anspruchsvolle, authentische Schreibstil erinnert ein wenig an Ecos Meisterwerk. Weitere Vergleichsmöglichkeiten konnte ich aber nicht entdecken.
„Der Wachsmann“ zeichnet ein lebendiges Bild der Stadt München im 14. Jahrhundert. Zusammen mit den beiden sympathischen Protagonisten Peter und Paul begeben wir uns auf eine spannende Reise in die Vergangenheit und treffen hier und da sogar auf reale historische Persönlichkeiten.
Der Stil könnte nicht jedermanns Geschmack sein: Mit seiner Umgangssprache in den Dialogen und seinem sonst eher gehobenen Stil schafft Rötzer für mich persönlich eine ganz gute Balance zwischen Anspruch und Atmosphäre. Aber „Der Wachsmann“ ist keine leichte Leicht wie manch anderer verkitschter Historienroman.
Durch die Sprache und Beschreibungen entstehen sowohl Atmosphäre als auch Authentizität. Hinzu kommt eine wohldosierte Prise hintergründigen Humors, die das Ganze lebendiger gestaltet. Meine (ältere) Ausgabe ist übrigens noch in der alten Rechtschreibung verfasst. Wie es sich mit neueren Auflagen verhält, kann ich nicht beurteilen.
Klassische historische Unterhaltung
Anspruchsvoll, atmosphärisch und authentisch: „Der Wachsmann“ von Richard Rötzer ist ein klassischer historischer Roman, der mit glaubwürdigen Charakteren und einem spannenden Kriminalfall punktet. Für den einen oder anderen könnte der Stil aber ein bisschen zu anstrengend sein.
7/10 Flößer
Die nackten Fakten
Deutscher Titel: Der Wachsmann
Autor: Richard Rötzer
Verlag: Ullstein
ISBN: 9783955302085
Erscheinungsjahr: 2001
Seitenzahl: 608
Das Cover bezieht sich auf eine spätere Auflage.

